"Corona ist keine normale Grippe"


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(Quelle: SZ Radebeul vom 10.4.2021, Seite 18 / Text: Catharina Karlshaus)

 

Fünf Wochen hat Schönfelds Bürgermeister Hans-Joachim Weigel gegen die britische Mutation der Virusinfektion gekämpft. Nun durfte er die Fachklinik Coswig verlassen - und wartet auf die Reha.

Als das Taxi vor ihm zum Stehen kommt, weiß er, es ist überstanden. Der schwerste Kampf, den Hans-Joachim Weigel in den vergangenen Jahren kämpfen musste, ist gewonnen. Gegen das Schicksal, gegen seinen eigenen Körper, gegen diese Krankheit. Endlich darf der 69-Jährige an diesem Mittwochvormittag in das Auto steigen und das Coswiger Fachkrankenhaus, in welches er Mitte März mit dem Rettungswagen eingeliefert worden war, verlassen. Sieben Kilogramm leichter, aber keineswegs gebrechlich. Schnell aus der Puste zu bringen, doch immerhin nicht mehr atemlos. Noch ein wenig traumatisiert von allem, was ihm da in den vergangenen Wochen völlig unerwartet widerfahren ist, aber demütig, es überhaupt überstanden zu haben. "Mir ist durchaus bewusst, dass es ganz schön knapp gewesen ist! Wenn ich nicht so ein gutes Immunsystem gehabt hätte, mehr Gewicht auf die Waage bringen und mich nicht seit vielen Jahren sportlich betätigen würde, könnten wir uns jetzt nicht miteinander unterhalten", sagt Hans-Joachim Weigel und schüttelt hörbar den Kopf.

Kaum zu glauben, dass Schönfelds Bürgermeister vor mehr als einem Monat noch ganz normal seinen Amtsgeschäften nachgegangen ist. Natürlich mit Mund-Nasenschutz, natürlich mit Abstand zu allen Gesprächspartnern, natürlich mit regelmäßigen Waschungen der Hände und natürlich dem allseits empfohlenen Lüften. Wo er sich mit dem Coronavirus infiziert oder bei wem er sich möglicherweise angesteckt haben könnte, lasse sich bis heute nicht nachvollziehen. Was der Mann, welcher sich seit Jahren auf dem Parkett der kreisweiten Politik bewegt, von Amtskollegen wegen seiner optimistischen Bodenständigkeit und dem ihm angeborenen Pragmatismus geschätzt wird und bei seinen Einwohnern wohlwollend als einer der Ihren ein Stein im Brett hat, aber ganz sicher weiß, ist die Erinnerung daran, wie alles anfing. "Ich habe am 3. März in der Großenhainer Remontehalle beim Technischen Ausschuss des Landkreises gesessen und hatte das plötzliche Gefühl von Schüttelfrost und Mattigkeit." Ein Empfinden, was sich trotz einem heißen Wannenbad nicht davonschleichen sollte. Der behandelnde Arzt verordnet ihm drei Tage Bettruhe. Auch sie können jedoch nichts am kränkelnden Zustand verändern.

Der Corona-Test am 8. März spricht schließlich eine deutliche Sprache: Corona-positiv. Gemeinsam mit seiner ebenfalls infizierten Frau sei er dann in den eigenen vier Wände geblieben. Doch während andere Leidensgefährten, wie etwa Meißens Landrat Ralf Hänsel, vergleichsweise nur mit geringen Symptomen geplagt sind, geht es dem Mann, der sonst mehrmals in der Woche ausgedehnte Radtouren unternimmt, zusehends schlechter.

Was in Schönfeld hinter vorgehaltener Hand besorgt die Runde macht, spürt der passionierte Verwaltungschef tatsächlich selbst von Stunde zu Stunde immer mehr. "Ich konnte nur unter Schmerzen atmen und fühlte mich so schwach wie noch nie", erinnert sich Hans-Joachim Weigel.

Sollte der 17. März eigentlich das Ende des amtlich angeordneten Rückzugs bedeuten, sei ihm und seiner Frau bereits zwei Tage vorher klar gewesen, dass irgendetwas nicht stimmen könne. Die Treppenstufen zur oberen Etage im Haus sind nicht mehr zu bewältigen, das Befinden wird vor allem bei ihm schlechter statt besser. Gemeinsam beschließt das Paar, nicht mehr länger auf spontane Genesung zu warten. Eine richtige Entscheidung - die Ärzte diagnostizieren bei Hans-Joachim Weigel eine schwere Lungenentzündung und weisen ihn ins Meißner Krankenhaus ein.

Vier Tage wird der Vater zweier erwachsener Kinder dort auf der Intensivstation behandelt, um schließlich nach Coswig - das renommierte Klinikum ist unter anderem spezialisiert auf Beatmungsmedizin, Infektiologie sowie akute Erkrankungen der Atemwege und Lunge - verlegt zu werden. Auch dort nicht etwa auf die normale Station, der körperliche Zustand lässt das nicht zu. Ganz im Gegenteil! Das Gesundheitsamt hat inzwischen darüber informiert, dass es sich bei der Erkrankung um die gefürchtete britische Mutation handelt und die wütet in Weigels Körper erbarmungslos. Mehrere Liter Sauerstoff bekommt er anfangs pro Minute zugeführt und erhält Medikamente über den Tropf, welche die körperlichen Funktionen des Diabetikers am Laufen halten sollen. Es ist eine Zeit, in der es scheinbar um alles geht. Selbst wenn das stets freundliche und immer um ihn bemühte, herumwuselnde Großaufgebot an Pflegern, Schwestern und Ärzten es so deutlich nicht gesagt hätte. "Ich selbst habe gespürt, wie unheimlich schlecht es mir geht. Ich selbst hatte plötzlich furchtbare Angst, meine Familie nie mehr sehen zu können und mich selbst hat Panik ergriffen, es vielleicht doch nicht zu schaffen. Das ist so niederdrückend, das kann nur jemand nachempfinden, der das leider schon mal selbst erleben musste", ist sich Hans-Joachim Weigel sicher.

Der Gedanke an genau jene Familie, an die drei Enkelkinder, welche er aufwachsen sehen wolle, habe ihn durch die finstersten Stunden gebracht. Dankbar sei er für all die lieben Wünsche und Anrufe seiner ganzen Fußball-Jungs - von Dixie Dörner über Rene Müller, Udo Schmuck, Peter Kotte oder Hansi Kreische - , das ständige Nachfragen ob seines Gesundheitszustandes durch Landrat Hänsel, seiner Gemeinderatsmitglieder, die Einwohner und nicht zuletzt für die gute Arbeit seiner Mitstreiter in der Verwaltung, die jetzt alles bestens am Laufen hielten.

Wann er selbst wieder ins Amt zurückkehren könne, stehe noch nicht fest. Mehr als 200 Meter Laufen sei momentan noch nicht drin, die Gesamtkonstitution weit entfernt von der gesunden alten. Der Aufenthalt in einer Rehaklinik soll nun in den kommenden Wochen richten, was Covid-19 zunichtegemacht hat. "Wissen Sie, weshalb ich das alles hier so für die Öffentlichkeit erzähle? Nicht, um mich wichtig zu machen. Nein! Ich möchte nur davor warnen, die Gefahr einer Infektion auf die leichte Schulter zu nehmen! Wenn mir heute einer lakonisch erklärt, das ist alles nur Spinnerei, kann ich nur antworten, das ist es ganz und gar nicht! Corona ist keine normale Grippe", sagt Hans-Joachim Weigel und schluckt die aufsteigende Rührung weg. Er selbst sei gerade noch mal so von der Schippe gesprungen. Andere in der Klinik hätten indes nicht so viel Glück gehabt.

 

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