Mehr als nur Narkose


Artikel Mehr als nur Narkose

Pro Tag werden in deutschen Krankenhäusern mehr als 45.000 Narkosen durchgeführt. Vor dem künstlichen Tiefschlaf haben noch immer viele Angst.

Kurz bevor Dr. Jens Kraßler Patienten vor einer Operation in den künstlichen Tiefschlaf schickt, sagt er ihnen, dass sie sich einen Traum aussuchen dürfen. "Ich kümmere mich darum, dass er erfüllt wird", gibt der Chefarzt der Anästhesiologie/Intensivtherapie ihnen dann mit auf den Weg. Sein Team überwacht jährlich etwa 2.000 Narkosen und betreut 600 Patienten auf der Intensivstation am Coswiger Fachkrankenhaus.

Dennoch ist die Anästhesie das Stiefkind der Medizin. Dabei ist die Arbeit des Anästhesisten nicht erledigt, wenn der Patient schläft. Während der OP müssen alle Vitalfunktionen und auch die Tiefe der Narkose überwacht werden, damit der Patient nicht während des Eingriffs aufwacht. Ein Phänomen, das vorkommt. Früher häufiger als heutzutage, so Kraßler. Als junger Student habe er erlebt, dass sich eine Patientin nach dem Eingriff beschwert hat, dass die Ärzte sie als Dicke bezeichnet hätten. "Dabei hatten wir uns über Helmut Kohl unterhalten", erklärt Kraßler. Aber das seien andere Zeiten gewesen, die Narkosetiefe wurde damals nicht überwacht wie heute.

Neben dem zu frühen Aufwachen ist gar nicht wieder aufzuwachen eine Angst, die Patienten haben. Auch die ist unbegründet, findet Jens Kraßler. "Wir operieren heute über 80-Jährige mit einem guten Ergebnis. Auch die wachen wieder auf." Angst sei nicht nötig, aber Respekt.

Als Geburtsstunde der modernen Anästhesiologie gilt der 16. Oktober 1846. Der Zahnarzt William Thomas Morton in Boston hat einen Patienten in einer Demonstration erfolgreich mit Äther in Narkose gebracht. Äther wird heute nicht mehr eingesetzt. Die Anästhesisten verfügen über ein breites Spektrum von anderen Medikamenten: Schlafmittel, Schmerzmittel und Mittel zur Entspannung der Muskeln. Je nach Operation und Alter sowie Gesundheit des Patienten werden diese unterschiedlich kombiniert und dosiert.

Pro Tag werden in deutschen Krankenhäusern schätzungsweise mehr als 45.000 Narkosen durchgeführt. Hinzu kommen täglich mehrere Tausend Narkosen bei ambulanten Operationen in Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren sowie auch im Rettungsdienst. Ohne Narkose wäre ein Großteil der Medizin heutzutage undenkbar.

Die Anästhesiologie basiert auf vier Säulen: Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie. Damit zählt sie zu den vielfältigsten und abwechslungsreichsten Fachgebieten der Medizin.

"Wir sind hier nicht nur Dienstleister, sondern in den gesamten Behandlungsprozess eingebunden", sagt Jens Kraßler. Mit den Chefärzten anderer Abteilungen werde jeder Patient besprochen, wie er am besten behandelt und therapiert werden kann. "Wir sind Teamplayer." Dass eine OP gut verläuft, hängt laut Kraßler aber nicht nur von den Ärzten ab. "50 Prozent machen der Chirurg, 25 Prozent der Anästhesist und 25 Prozent der Patient aus."

Thema: "Mehr als nur Narkose"
Quelle: SZ/ Peggy Zill, SZ Radebeul vom 29.11.2019 S. 9
Foto: Norbert Millauer